Schreiben, einfach schreiben – weil es das ist, was ich immer schon tue. Wo andere sich zur Literatur verhalten können, sich entscheiden dürfen, Literatur zu produzieren im Gegensatz zu – als Verhalten gegenüber der Alltagssprache, bin ich zu einem Sprachverhalten verdonnert, das Literatur wäre, wenn sie im Unterschied zum Alltag stünde. Alltag bedeutet, in einer Sprache und damit einer Welt zu wohnen. Ich bin aber nicht auf natürliche Weise in die Sprache gekommen, habe nie organisch gelernt, Sprache als Mittel der Verständigung zu verwenden. Für mich gibt es keine unkonstruierte, spontane Sprache (es sei denn, es geht um etwas, das von spezifischem Interesse für mich ist). Jeder Satz, jedes Wort sind bewusst gewählt, oder aus dem Fundus bereits erfolgreich erprobter Äußerungen geschöpft. Was mir als Sprache kommt, ist immer schon Gedicht, bereits Ergebnis unzähliger Reflexionen, nach Rhythmus, Klang und Wirkung gestaltet – ohne je wirklich sagen zu können, ob und wie sie für andere fließt, klingt und wirkt.
Mein Leben lang habe ich diesen Sachverhalt verdrängt, bekämpft und zu kontrollieren versucht. Habe meine mir selbst merkwürdigen Reaktionsweisen unterdrückt, um nicht als merkwürdig zu erscheinen. Habe gelernt, meine eigene Überforderung zu missachten. Habe gelernt mich selbst zu missachten, um auch nur ein Stück weit die Gegenwart eines anderen Menschen teilen zu können.
Vor rund zwanzig Jahren bin ich das erste Mal im Rahmen interessierter Selbstbeschäftigung auf eine mögliche Ursache dieser meiner lebensumspannenden Probleme gestoßen – und konnte sie nicht annehmen, weil ich eigentlich doch funktionierte. Weil ich doch Freunde hatte und nicht mit flatternden Händen stumm in der Ecke saß. Weil ich schon lange verdrängt hatte, wie schwer es ist, den Sinn vom Geräusch zu unterscheiden.
Jahre später traute ich mich das erste Mal, diese Ursache als die meine anzuerkennen und vorzutragen und wurde bald zurechtgewiesen – falscher Zeitpunkt, wer will schon wissen, was ich über mich herausgefunden habe, während es darum geht, eine Abtreibung zu organisieren. Also habe ich es wieder verdrängt.
Vor einem halben Jahr etwa ist der Vorhang gefallen, der sich mehr schlecht als recht vor mein Erleben geschoben hatte. Mehr oder weniger abrupt ist mir vor Augen getreten, was das ist, dieser Sachverhalt, diese Schwierigkeit in der Interaktion, das nicht-wissen-zu-können, was Leute mir „wirklich“ mitteilen wollen, dieses nicht-zu-verstehen, was in den Köpfen und Herzen anderer Leute vor sich geht – und oft genug auch in meinem eigenen (ganz zu schweigen von der ganzen Kiste mit der Sensorik und dem schlabbrigen Körper).
Ich schreibe das hier nicht, um einen Bericht aus der wunderlichen Welt des Autismus zu liefern, an dem andere – Nichtautisten – sich dann befriedigen können. Was ich hier mitteile ist die Aneignung meines Lebens, für mich und niemand anderen. Warum ich das öffentlich tun möchte, muss ich niemandem erklären, der auch nur ein wenig Verständnis – und sei es nur implizit – davon hat, was es bedeutet als eine Person gelten zu dürfen.
In aller Regel werde ich hier Miniaturen, Gedichte, Beobachtungen, Erzählungen veröffentlichen, die in irgendeiner Art im Kontext eines Lebens mit unsichtbarer Behinderung stehen; eines Lebens, das sich heute erlaubt, sich selbst auszulegen. Die ältesten der hier veröffentlichten Texte, sind an die zwanzig Jahre alt, die neuesten von gestern und heute. Ob und wie sie verstanden werden, liegt nicht in meiner Hand. Sie in die Welt zu geben ist Teil des Wagnisses, das ich eingehe – zu lernen, dass sich mitteilen nicht bedeuten muss, sich dabei zu verlieren.
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