In den Straßen greift das Trauma
nach Boden
es schreit in den Sand,
die Steine sind Angst
sie umschlingen das Gefühl
bald begraben sie den Schlaf
In den Straßen heißt es Ansturm gegen sie selbst
Autor: luers
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Ansturm
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Resterestereste
Kleine Anmerkung, nachdem ich auf mögliche Missverständnisse hingewiesen wurde: Dass die Stelle im ersten Beitrag (im Anschluss an „zurechtgewiesen – falscher Zeitpunkt“) irritieren kann, ist mir klar. Ich will an der Stelle nicht mein Bedürfnis nach Anerkennung über die Not und den Frust und den Stress einer mir lieben Person im Kontext eines derartigen Eingriffs in ihre körperliche Integrität stellen. Der normative und faktische Druck der Situation war mir damals wie heute bewusst, aber er ist hier nicht thematisch (Zum Thema „thematische Hegemonie“ ein andermal). Was ich an der Stelle durch Interpunktion und Stilbruch markieren wollte, war der Bruch zwischen zwei Sprachen. Meiner, die nur ich spreche*, und die der Welt, in der die Menschen handeln und in der ich manchmal adressiert werde (und klar handle ich auch, aber ich bin dummerweise auch Mensch.) Um’s Richten, Auf-, Ab-, Aus-, etc. soll es jedenfalls gehen an der Stelle. Und um die Kluft zwischen Verständnis und Ausdruck, die der Regelfall nicht vorsieht und Ursache so manchen Missverständnisses ist.**
*Die eigentlich fast keinen Sinn ergibt und doch das Medium meines Selbstverständnisses ist. Das ist das Missverständnis zwischen mir und der Welt. Meine eigentliche Sprache klingt in meinen Knochen.
**An der Stelle sei auf die Forschung zum Double-Empathy-Problem verwiesen, dass einen Erklärungssatz für Interaktionsprobleme zwischen Autist*innen und solchen, die’s (Pech für sie) nicht sind, darstellt und die davon ausgeht, dass divergierende kognitive Strategien spezifische, mitunter systematisch konfligierende Reziprozitätserwartungen nach sich ziehen.
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Juris Körper
Juris Körper ist warm. Der Körper ist warm und schwer. Bleiern sagt man, die Gliedmaßen ziehen am Rücken. Der Rücken an sich selbst und schließlich an den Schultern. Die ziehen nach vorn und nehmen den Nacken in ihrer Umarmung der kleinen Leerstelle vor der Brust zwischen dem Eigenen und der Welt gleich mit. Der Körper selbst dergestalt aus dem Gleichgewicht gebracht, der Schwerpunkt gefährlich nach vorne verlagert, verändert dabei freilich seine Masse nicht. Er wird sich ihrer nur gewahr, indem er sie wird. Indem er sein Körper-Sein-für-Juri verliert und bloß noch Körper, alles, ist. Die Schwere ist kein Gewicht, sondern das sich-immer-schwerer-fühlen.
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Risse
Du lebst – und verstehst nicht. Verstehst nicht, was die anderen tun, was du tun musst, um nicht merkwürdig zu sein. Verstehst nicht, warum du merkwürdig sein sollst, und verstehst nicht, was daran merkwürdig ist.
Du lebst – und willst nicht allein sein. Also beginnst du zu sprechen. Und verstehst nicht. Irgendwann bleibt dir nichts anderes übrig, als so zu tun als verstündest du.
Und dann irgendwann vergisst du, dass du nur so tust als ob. Und dann vergisst du irgendwann zu fragen – warum verstehen die anderen mich nicht? Und – warum verstehe ich mich nicht?
Und dann vergisst du irgendwann zu verstehen, dass du nicht verstehst. Und dann vergisst du irgendwann, dass du all das vergessen hast.
Und dann hast du dich vergessen – und vergessen, dass alles was du tust, dem Überleben diente. -
Reste
Schreiben, einfach schreiben – weil es das ist, was ich immer schon tue. Wo andere sich zur Literatur verhalten können, sich entscheiden dürfen, Literatur zu produzieren im Gegensatz zu – als Verhalten gegenüber der Alltagssprache, bin ich zu einem Sprachverhalten verdonnert, das Literatur wäre, wenn sie im Unterschied zum Alltag stünde. Alltag bedeutet, in einer Sprache und damit einer Welt zu wohnen. Ich bin aber nicht auf natürliche Weise in die Sprache gekommen, habe nie organisch gelernt, Sprache als Mittel der Verständigung zu verwenden. Für mich gibt es keine unkonstruierte, spontane Sprache (es sei denn, es geht um etwas, das von spezifischem Interesse für mich ist). Jeder Satz, jedes Wort sind bewusst gewählt, oder aus dem Fundus bereits erfolgreich erprobter Äußerungen geschöpft. Was mir als Sprache kommt, ist immer schon Gedicht, bereits Ergebnis unzähliger Reflexionen, nach Rhythmus, Klang und Wirkung gestaltet – ohne je wirklich sagen zu können, ob und wie sie für andere fließt, klingt und wirkt.
Mein Leben lang habe ich diesen Sachverhalt verdrängt, bekämpft und zu kontrollieren versucht. Habe meine mir selbst merkwürdigen Reaktionsweisen unterdrückt, um nicht als merkwürdig zu erscheinen. Habe gelernt, meine eigene Überforderung zu missachten. Habe gelernt mich selbst zu missachten, um auch nur ein Stück weit die Gegenwart eines anderen Menschen teilen zu können.
Vor rund zwanzig Jahren bin ich das erste Mal im Rahmen interessierter Selbstbeschäftigung auf eine mögliche Ursache dieser meiner lebensumspannenden Probleme gestoßen – und konnte sie nicht annehmen, weil ich eigentlich doch funktionierte. Weil ich doch Freunde hatte und nicht mit flatternden Händen stumm in der Ecke saß. Weil ich schon lange verdrängt hatte, wie schwer es ist, den Sinn vom Geräusch zu unterscheiden.
Jahre später traute ich mich das erste Mal, diese Ursache als die meine anzuerkennen und vorzutragen und wurde bald zurechtgewiesen – falscher Zeitpunkt, wer will schon wissen, was ich über mich herausgefunden habe, während es darum geht, eine Abtreibung zu organisieren. Also habe ich es wieder verdrängt.
Vor einem halben Jahr etwa ist der Vorhang gefallen, der sich mehr schlecht als recht vor mein Erleben geschoben hatte. Mehr oder weniger abrupt ist mir vor Augen getreten, was das ist, dieser Sachverhalt, diese Schwierigkeit in der Interaktion, das nicht-wissen-zu-können, was Leute mir „wirklich“ mitteilen wollen, dieses nicht-zu-verstehen, was in den Köpfen und Herzen anderer Leute vor sich geht – und oft genug auch in meinem eigenen (ganz zu schweigen von der ganzen Kiste mit der Sensorik und dem schlabbrigen Körper).Ich schreibe das hier nicht, um einen Bericht aus der wunderlichen Welt des Autismus zu liefern, an dem andere – Nichtautisten – sich dann befriedigen können. Was ich hier mitteile ist die Aneignung meines Lebens, für mich und niemand anderen. Warum ich das öffentlich tun möchte, muss ich niemandem erklären, der auch nur ein wenig Verständnis – und sei es nur implizit – davon hat, was es bedeutet als eine Person gelten zu dürfen.
In aller Regel werde ich hier Miniaturen, Gedichte, Beobachtungen, Erzählungen veröffentlichen, die in irgendeiner Art im Kontext eines Lebens mit unsichtbarer Behinderung stehen; eines Lebens, das sich heute erlaubt, sich selbst auszulegen. Die ältesten der hier veröffentlichten Texte, sind an die zwanzig Jahre alt, die neuesten von gestern und heute. Ob und wie sie verstanden werden, liegt nicht in meiner Hand. Sie in die Welt zu geben ist Teil des Wagnisses, das ich eingehe – zu lernen, dass sich mitteilen nicht bedeuten muss, sich dabei zu verlieren.